STÉPHANE BITTOUN  Regisseur, Autor und Schauspieler

 GESCHICHTEN erzählen

GESCHICHTEN ERZÄHLEN...

Bittoun ist im Übrigen ein typischer Name französischer
Juden aus dem Maghreb.
In diesem Fall Algerien. Der Großteil dieses Familienzweigses
lebt heute in Israel.

Auch meine Großmutter. Sie sieht für Ihr Leben gerne Fernsehen.
Am Shabbat allerdings, also von Freitag Abend bei Einbruch der
Dunkelheit bis zum Samstag Abend, ist es religiösen Juden weder
erlaubt zu arbeiten, noch Feuer zu machen, noch Auto zu fahren,
noch einen Lichtschalter oder sonst irgendwelche
elektrischen Geräte zu betätigen.

Meine Großmutter möchte aber trotzdem fernsehen. Also hat sie
einen Timer, den sie vor Beginn des Shabbat programmiert, so daß
das Gerät mitten in der Nacht von Freitag auf Samstag von alleine
ausgeht und am Samstag früh sogleich wieder anspringt.
Ich habe sie mal darauf angesprochen, aber sie leugnet
betrügerische Absichten.

Meine deutschen Großeltern wiederum lebten in Münster in Nordrhein-
Westphalen, einer sehr katolisch geprägten Stadt. Als mein Großvater
starb, standen meine Eltern, mein Bruder und ich mit den anderen
nächsten Verwandten in der ersten Reihe der Kirche.
Von uns aus gesehen rechts.

Meine Mutter heulte und heulte und mein Vater bemühte sich,
die ihm fremden christlichen Zeremonien mitzumachen.
Er kniete sich hin, wenn alle knieten, stand
auf, wenn alle anderen und summte sogar die Melodien der Lieder mit.
Ohne Vorankündigung trat der Priester hinter dem Altar hervor,
kam die Stufen herunter und begann,
in der ersten Reihe Brot und Wein zu verteilen.

Zum Glück erst mal von uns aus gesehen links. Mein Vater geriet in Panik.
Er könne doch als Jude nicht den Leib Christi kosten. Meine Mutter
bekam einen Lachanfall und mein Vater tat einfach so,
als ob er den Priester nicht verstehe.

Als Kind veranlaßte mich meine Zweisprachigkeit zu glauben,
daß ich Spion werden sollte. Ich hätte überall unerkannt lauschen können,
dachte ich, weil ich ja immer so tun kann, als würde ich nur die jeweils
andere Sprache verstehen. Nachdem ich diesen Berufswunsch
aller Welt (und in beiden Sprachen) erzählt hatte, war es mit
der geheimen Mission allerdings auch schon wieder zu Ende.

Musikalisch gesehen jedenfalls, bedeutet diese interkulturelle
Kindheit ein Trauma zwischen Oum Khalsom, den Beatles,
Jacques Brel und Bach. Ab und an gewürzt
mit der Filmmusik indischer Musical-Streifen aus dem
Bollywood der 40iger Jahre. Da stand natürlich meine
fernsehsüchtige französische Großmutter drauf.

Vermutlich habe ich die Begeisterung für bewegte Bilder von ihr geerbt.
Als mein Bruder dann auch noch anfing,
aus Opposition Heavy Metal zu hören, bin ich von
zu Hause ausgezogen. Sozusagen aus Notwehr.

ANDERERSEITS WOLLTE ICH NATÜRLICH AUCH...

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